Listening Project - Zuhören und Kooperation und Zusammenarbeit

 

Zum Verständnis von 'Zuhören' im LISTENING PROJECT →

Für das Thema 'Zuhören' existiert kaum ein öffentlicher Diskurs, aber Fragmente dieses Diskurses gibt es in verschiedenen Räumen. Überall wird explizit formuliert: Zuhören ist etwas Wichtiges, etwas Positives und Erstrebenswertes. Eltern wird empfohlen, ihren Kindern zuzuhören, damit diese sich gut entfalten können. Ein guter Therapeut hört seinem Klienten zu, um ihn zu heilen. Zuhören wird als wirksame und Erfolg versprechende soziale Technik benannt, die z.B. die Beziehung zu Partnern und Freunden verbessert und beruflichen Erfolg ermöglicht. Menschen, die zuhören, erfüllen einen moralischen Anspruch. Sie sind gut zu anderen Menschen und nicht bloß Egoisten.

Wo in diesen Kontexten ist das 'Zuhören' beim LISTENING PROJECT zu verorten und wie kann es beschrieben werden?

Das LISTENING PROJECT fokussiert auf das Zuhören als elementares und produktives  Element von Kooperation - ein für alle Beteiligten gewinnbringender Austausch (Richard Sennet). Das Zuhören im LISTENING PROJECT ist zuerst einmal Aktivität. Es ist nämlich das 'und ...', das 'aha' und das aktive Aufnehmen des Dargelegten. Dann gibt es dem Gesagten sozusagen ein Dach über dem Kopf, bewahrt es und setzt es wieder in Bewegung. Das Zuhören ins solch einem Dialog passiert nicht nur beim Zuhörer, sondern ebenso beim Sprecher, der vor dem Anderen darlegt und so das tätige Zuhören des Anderen in seinem Sprechen antizipiert. Es ist dieser Tanz der Produktion, mit dem im LISTENING PROJECT experimentiert wird. Was dabei herauskommt, kann niemals allein Absicht sein. Das würde der dem Zuhören zugrunde liegenden Offenheit widersprechen. Dann wüsste man ja bereits, was sich herausstellen soll. Was sich dagegen beim vollen Zuhören herausstellt, ist etwas, das vorher noch nicht da war, etwas, das überraschen kann. Vielleicht eine Idee, Verbindung, Bedeutung, Entlastung, Lösung, Frage, eben etwas von all dem, was im produktiven Miteinander erzeugt wird. Vielleicht ist dann auch etwas elterliche Fürsorge, therapeutische Haltung, moralischer Anspruch oder soziale Technik dabei - nichts wäre dagegen einzuwenden.

Wir können dann zuhören, wenn wir das Gehörte nicht verstehen, sondern ihm nachgehen. →

Wann hören wir zu? Wir hören dann zu, wenn wir nicht weghören. Wir hören dann weg, wenn wir das Gehörte weg zu einem uns Bekannten tragen und es dort sicher unterbringen. Wir können dann zuhören, wenn wir das Gehörte nicht verstehen, sondern ihm nachgehen, ob  es uns anspricht. Damit es uns aber ansprechen kann, bedarf es der Stille des Nichtwissens, in der es überhaupt zu uns sprechen kann und gehört werden kann.
Dr. Christian Müller, Psychiater und Neurologe, Wien, Denkerische Grußworte an die Lesungsreihe „4x4 Philosophie Pur“

Nur der hört wirklich zu, der nicht nur während jemand spricht, sondern auch nachdem jemand gesprochen hat, immer noch zuhören und in sich hinein hören kann. →

Nicht wie wir zu anderen sprechen, noch was wir zu anderen sagen bestimmt unsere inneren Beziehungen, sondern wie wir den anderen  zuhören. Das heißt: wie lange und wie tief wir das Gesagte in uns klingen lassen können, ohne sofort zu reagieren. In dieser disziplinierten Verhaltenheit des Zuhörers liegt die ganze Kunst des Zuhörens. Nur der hört wirklich zu, der nicht nur während jemand spricht, sondern auch nachdem jemand gesprochen hat, immer noch zuhören und in sich hinein hören kann.
Peter Wilberg, Englischer Philosoph, Lehrer, Therapeut und Autor, The Therapist as Listener, Martin Heidegger and the Missing Dimension of Counselling and Psychotherapy Training

Geheimnisse entdecken. →

Sie redete eine Weile und ich hörte ihr zu und dann redete ich. Unser Gespräch glitt mühelos dahin; wir schienen Geheimnisse zu entdecken.
Charles Bukowski, US-amerikanischer Dichter

Durch Zuhören wissen ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau, was sie wollen. →

Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanke kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf - und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!
Michael Ende, deutscher Schriftsteller, Momo, oder die seltsame Geschichte von den Zeit-dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte

Das Wehende höre, die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet. →

Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten: dass sie der riesige Ruf aufhob vom Boden; sie aber knieten, Unmögliche, weiter und achtetens nicht: So waren sie hörend. Nicht, dass du Gottes ertrügest die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre, die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
Rainer Maria Rilke, österreichischer Autor und Lyriker, Die erste Duineser Elegie

... dass es kaum möglich ist, [Tage des Müßiggangs] zu erleben, ohne vieles zu hören. →

Ich habe mich oft gefragt, ob nicht gerade die Tage, die wir gezwungen sind, müßig zu sein, diejenigen sind, die wir in tiefster Tätigkeit verbringen? Ob nicht unser Handeln selbst, wenn es später kommt, nur der letzte Nachklang einer großen Bewegung ist, die in untätigen Tagen in uns geschieht? Jedenfalls ist es sehr wichtig, mit Vertrauen müßig zu sein, mit Hingabe, womöglich mit Freude. Die Tage, da auch unsere Hände sich nicht rühren, sind so ungewöhnlich still, dass es kaum möglich ist, sie zu erleben, ohne vieles zu hören.
Rainer Maria Rilke, österreichischer Autor und Lyriker, Briefe. An Tora Holmström, 24. August 1904

 

Zuhören erfordert genau darauf zu achten, was andere sagen, und es zu interpretieren, bevor man antwortet. →

Zuhören erfordert eine Reihe von Fähigkeiten. Hier gilt es, genau darauf zu achten, was andere sagen, und es zu interpretieren, bevor man antwortet, und zwar die Gesten und Sprechpausen ebenso wie das explizit Gesagte. Obwohl wir uns möglicherweise zurückhalten müssen, um beobachten zu können, wird das Gespräch dadurch reicher, kooperativer, dialogischer.
Richard Sennett, US-amerikanischer Soziologe und Kulturhistoriker, Zusammenarbeit

Wenn man sich in etwas hineingehört hat, dann gehört man dazu. →

Der andere wird nur dann zum wirklichen Gesprächspartner, wenn das, was gesagt wird, weder eine Rede über etwas ist, noch zum überreden eines anderen dient, sondern eine Antwort ist auf ein bisher Unausgesprochenes.
Wo unsere Aussagen nichts unausgesprochen lassen, sagen sie nichts. Wo unser Ohr nicht auf das Ungesagte horcht,  spricht uns nichts an.
Zuhören ist nicht nur der zeitweilige Verzicht, etwas zu sagen, sondern die Fähigkeit, unsere möglichen Ant-worten wortlos und wissentlich zurückzuhalten. Der verhaltende Zuhörer ist sich seines eigenes Ungesagten nicht nur bewußt, er un-sagt es durch die lautlosen Töne seines Hörens und Horchens.
Wenn man sich in etwas hineingehört hat, dann gehört man dazu.
Peter Wilberg, Englischer Philosoph, Lehrer, Therapeut und Autor, http://www.heidegger.org.uk

Tanz des Denkens. →

Und manchmal braucht es einen beweglichen, vielleicht unseriös erscheinenden Tanz des Denkens, der dabei hilft, große und kleine Gewissheiten, eigene Wahrheiten und fremde Ideologien so lange zu drehen und zu wenden, bis sie unscharfe Ränder bekommen. Und man mehr sieht als zuvor.
Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaftist an der Universität Tübingen

 

Das menschliche Antlitz. →

Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht;
und ein Blick, der uns einen halb ausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganz andere Hälfte desselben.
Heinrich von Kleist, deutscher Dramatiker, Erzähler, Lyriker und Publizist um 1800

 

Wir hören zu, um zu antworten. →

Das größte Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen. Wir hören zu, um zu antworten.
Stephen Richards Covey, US-amerikanischer Bestseller-Autor von Selbsthilfe-Büchern und Hochschullehrer an der Utah State University

Das Wagnis einer grundlegenden Veränderung des Verständnisses von etwas

Der Zuhörer muss auf das hören, was nicht einfach ist und was das Potenzial hat, das Selbstverständnis zu stören. Wenn sein Zuhören nicht das Wagnis einer grundlegenden Veränderung des Verständnisses von etwas mit sich bringt, ist es kein echtes Zuhören. Vielleicht ist es das, was das Zuhören überhaupt so schwierig macht.
Gemma Corradi Fiumara, italienische Philosophin, *1931

 

 

 

 

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